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Exkursionen: „Angezettelt. Antisemitische und rassistische Aufkleber von 1880 bis heute“

Der vierstündige Geschichtskurs unter Leitung von Herrn Krug besuchte im Juli 2018 die Ausstellung in der Friedrich-Ebert-Gedenkstätte Heidelberg. Ein Exkursionsbericht von Rohan Kuner (Jahrgangsstufe 1):

Man platziere die Begriffe ,,Rassismus” und ,,Antisemitismus” in einem imaginären Raum. Dem Betrachter erscheinen sie im Jahre 2018 wie Anachronismen, wie Zeugnisse der Malignität längst vergangener Zeiten. Man muss kein Historiker sein, um hierbei sofort Bezüge zum Nationalsozialismus und dem Holocaust herzustellen, zu einem singulären Ereignis, bei dem Millionen Juden von 1933-1945 zu Tode kamen.

De facto wird es den Betrachter allerdings nicht viel Zeit kosten, um zur Einsicht zu gelangen, dass diese Phänomene auch heute, im 21. Jahrhundert, hier ihr Unwesen treiben. In der Tat hier – in Deutschland. Ein kurzer Blick auf die Tagesschau suggeriert dies: Der NSU-Prozess etwa gegen B. Tschäpe oder das Verbotsverfahren der NPD (2003-2017). Hiervon legen auch die alarmierend hohen Zahlen von täglichen rassistisch- und antisemitisch-motivierten Gewaltdelikten Zeugnis ab. Gerade deshalb ist es wichtig, sich mit diesen Missständen von Teilen unserer Gesellschaft kritisch auseinanderzusetzen. Es ist ein gutes Zeichen, dass bereits diverse Programme zur Bekämpfung von Rassismus und Antisemitismus ins Leben gerufen worden sind. Hierzu gehört beispielsweise die Initiative ,,Schule ohne Rassismus - Schule mit Courage”, an welcher unsere Schule teilnimmt.

Eine Möglichkeit, sich dieser hochkomplexen Thematik anzunähern, bot sich dem vierstündigen Geschichtskurs der Jahrgangsstufe 1 von Herrn Krug an: Die Teilnahme an einer Führung durch die temporär in Heidelberg befindliche Sonderausstellung „Angezettelt. Antisemitische und rassistische Aufkleber von 1880 bis heute“ in der  Friedrich-Ebert-Gedenkstätte Heidelberg. Wie dieser eingängige Titel nahelegt, handelt es sich bei den gezeigten Exponaten um rassistische und antisemitische Darstellungen in Form von Aufklebern (es gab aber auch andere Gegenstände). Um auf die W-Frage ,,Wo?” einzugehen: In der Öffentlichkeit gab und gibt es solche Aufkleber wie Sand am Meer, etwa an Straßenlaternen oder Wänden. Der dargestellte Zeitraum reicht von 1880 bis ins Präsens. Eine Hälfte der Gruppe ging chronologisch die Ausstellung entlang, die andere Hälfte entsprechend antichronologisch.

Ganz provokant: Zettel an eine Wand kleben kann wohl (fast) jeder. Berechtigt daher ist die Frage, wie das Ausstellungskonzept diese Ausstellung überhaupt attraktiv und sehenswert macht. Am Ende dieser Abhandlung wisst ihr es!

Da betraten wir also die Ausstellung. Zunächst widmeten wir uns der Kontemplation der Fragen, was Feindbilder sind oder wie sich Rassismus auf Aufklebern visualisieren lässt. Daraufhin zeigte man uns das erste Exponat: Ein T-Shirt! Ein T-Shirt, dass im Rahmen der EXIT-Deutschland-Initiative bei einem rechtsextremen Rockkonzert an potenzielle künftige Aussteiger aus dem Rechtsextremen- Milieu verteilt wurde. Denn während es oberflächlich Neonazi-Bildmotive zeigte, offenbarte sich nach dem 1. Waschvorgang eine darunter befindliche, unmissverständliche Botschaft der EXIT-Deutschland-Initiative: ,,Was dein T-Shirt kann, kannst du auch! Wir helfen dir, dich vom Rechtsextremismus zu lösen”. Ein Exponat von hoher Symbolkraft, dass definitiv einen Beitrag leistet, die Rechtsextremisten-Szene zu minimieren. Negativ kontrastiert wurde dieser optische Eindruck daraufhin allerdings durch einen antisemitischen Sticker, der beim ersten Blick an ein Flugticket erinnert. Hierbei handelt es sich um eine äußerst verurteilenswerte und gedanklich primitive Aktion der NPD aus dem Jahre 2013, im Zuge welcher sogenannte ,,Rückflugtickets” an Menschen mit Migrationshintergrund gesandt wurden. Menschenrechtsverletzender und dreister geht es wahrlich nicht, denn die NPD appellierte daran, dass Migranten mit der sogenannten ,,Rückflug-Airways” für 19 Euro in ihre ,,Heimat” zurückfliegen sollten, und der ,,Deutsche” sich dadurch die ,,Integrationskosten” für den Immigranten sparen könne. Setzen wir uns nun die Brille des Geschichtsprofessors auf, dann sehen wir bezüglich dieser Aktion auch einen historischen Bezug: ,,Freikarten nach Jerusalem”. — So etwa lautete ein Nazi-Motto aus den 1930er-Jahren, dass die Vertreibung von Juden aus Deutschland nach Jerusalem propagierte. Auch hierzu sahen wir entsprechende Aufkleber. Dieser historische Rückbezug wurde zu einem der Motive, die sich durch die gesamte Ausstellung ziehen sollten. Weitere Vergleiche zwischen NSDAP- und NPD-Poster bestätigten diesen Eindruck: Es gab eindeutige NSDAP-NPD Parallelen. Es zeigte sich an weiteren Exponaten weiterhin, wie alte Feindbilder neu verpackt wurden und Länder wie Israel als Projektionsfläche für Hass genutzt werden. Letzteres sieht man zum Beispiel auch im Rahmen des aktuellen Israel-Palästina-Konflikts.

Auch wenn wir uns jetzt auf einer absolut anderen Ebene befinden, selbst bei einem Aufkleber des Hilfswerks ,,Brot für die Welt” der evangelischen Landeskirchen und Freikirchen in Deutschland klangen rassistische Motive und die Reduktion des Menschen auf seinen Phänotyp, vor allem auf seine Hautfarbe, an. Dort wurden die Notleidenden der Welt grafisch gemäß ihrer Hautfarbe als Asiaten gelb, als Afrikaner dunkelbraun bis schwarz und als amerikanische Ureinwohner rot dargestellt. Diese Darstellung wurde daraufhin mit einem Musikvideo kontrastiert, dass den Aspekt des Leidens vieler Afrikaner und den Überfluss im Westen parodiert hat. Auch wurde deutlich, dass sich rechtsradikale Organisationen häufig des Tricks bedienen, Symbole aus ganz anderen Kontexten zu nehmen und hierbei quasi aus einem neutralen Teilchen ein Ion machen - ein rassistisch aufgeladenes, wohlgemerkt. Beispiel: Kauft deutsche Bioware! Diesen Slogan findet man im Bioladen von nebenan, der Spruch steht in einer ökologischen Konnotation. Ihr habt es bereits geahnt, die NPD greift dieses Werbemotiv nun auf und verleiht ihm eine nationalistische und rassistische Konnotation.

Nun ein Zeitsprung in die 1930/1940er: Apropos Lebensmittel, kann eine Wurst eigentlich deutsch und ein Geschäft jüdisch sein? Diese Frage stellten sich damals wohl Einige, als die Nazis unter anderem am 1. April 1940 zum Boykott jüdischer Geschäfte aufriefen - unter anderem mittels Aufklebern, mit welchen jüdische Geschäfte gebrandmarkt wurden. Eine meines Erachtens ebenfalls hervorzuhebende und durchaus kostbare historische Quelle ist ein Aufkleber, aus dem eine weitere Parallele zwischen rassistischen bzw. antisemitischen Äußerungen der Vergangenheit und des Status Quo hervorgeht: Der Einfluss derartiger Äußerungen durch populäre Personen auf die Gesellschaft. Der Aufkleber zeigt nämlich ein offensichtlich antisemitisches Zitat von Martin Luther, dass propagandistisch von den Nazis genutzt wurde. So ist es auch heute, wenn populäre Rapper wie Farid Bang offenkundig antisemitische ,,Lines heraushauen” (wie man im Rapper-Sprachduktus, dem ich nicht geneigt bin, sagen würde) und damit ihrem Publikum gegenüber falsche Impulse aussenden. Auch wenn - nein, eigentlich gerade dass diese Farid-Bang-Parallele nicht direkt in der Ausstellung gezeigt wurde, zeigt, dass der Besucher stets individuell aktuelle Bezüge zu Rassismus und Antisemitismus in der Vergangenheit und auch umgekehrte Bezüge herstellen konnte. Dies ist meines Erachtens ein großer Punkt, von dem diese Sonderausstellung lebt. Durchaus positiv aufgefallen ist mir auch der vorhin erwähnte Aspekt der ständigen Kontrastierung von rassistischen/ antisemitischen Aktionen mit entsprechenden Gegenaktionen gutartiger Geschöpfe. In diesem Atemzug zu nennen ist auch die sog. ,,Eiserne Front”, eine antifaschistische und antisemitischer Allianz, welche mittels Aufkleber zum Widerstand gegen das NS-Regime aufgriff. Doch wohlgemerkt geht der Erfassungszeitraum in der Ausstellung bis nach ca. 1840 zurück. Wir müssen mit der Zeitmaschine also noch vor den Nationalsozialismus, vor die Weimarer Republik, bis hin zum Deutschen Kaiserreich. Unter dem Sujet ,,Die Welt unterordnen” zeigte man uns hier eine weitere Form von Rassismus: Kolonialrassismus. Kolonial-…, denn Deutschland verwaltete und beherrschte bis zum Ende des 1. WK die Kolonien ,,Deutsch-Ostafrika”. Und im Grunde war dieswie ein Stickeralbum zur Fußball-WM: Während man heutzutage stolz auf seine Mannschaft ist, war man dies damals insbesondere auch auf seinen Kolonialbesitz. Damals konnte man sich Stickeralben kaufen und Bilder aus den Kolonien einkleben. Dort fanden sich interessante Motive, die wir uns exemplarisch auch anschauen durften: Zu sehen war beispielsweise eine Landschaft mit einem Fluss, durch welchen die afrikanischen Menschen schwere Lasten für die Deutschen ,,Kolonialherren” über einen Fluss trugen. Ersteren wurden auf dem Bild tierische Attribute zugeschrieben, eine sklavische Dienerrolle, letztere, um einen radikalen Kontrast darzustellen, als ,,zivilisierte Herren und Gebieter”. Zur Konklusion: Die Exponate waren sehr aussagekräftig, gut erhalten und sprachen für sich. Die Ausstellung war sehr facettenreich, ein Mosaik verschiedener Bestandteile, die aber zusammen ein kohärentes Bild, einen roten Faden, ergaben. Die Ausstellung ist sehr empfehlenswert!

Rohan Kuner (Jahrgangsstufe 1, vierstündiger Geschichtskurs von Herrn Krug)